Verbraucherrecht Info -09.2022

3.09.2022
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Windenergieanlagen:

Ist Infraschall im Abstand von zwei Kilometern gesundheitsschädlich?

| Zwei Kläger haben von den Betreibern von Windenergieanlagen Schadenersatz wegen der Beeinträchtigung ihrer Grundstücke durch sog. Infraschall (Schall unterhalb des hörbaren Bereiches) verlangt. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamm blieben sie jedoch erfolglos. |

Vorinstanzliche Rechtsprechung

Die Kläger sind Eigentümer von selbst genutzten Wohngrundstücken in einer Entfernung von knapp unter bzw. knapp über zwei Kilometern zu Windenergieanlagen. Sie haben ihr Schadenersatzbegehren mit der Behauptung gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Infraschall begründet, der von den Windenergieanlagen auf ihre Grundstücke gelange. Nach Abweisung der Klagen durch die Landgerichte (LG) Detmold und Paderborn haben sie ihre Klagen jeweils mit einer Berufung vor dem OLG erfolglos weiterverfolgt.

Oberlandesgericht bestätigt Entscheidungen

Zur Begründung führte das OLG aus, dass die Kläger aufgrund der Rechtskraft von verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen nicht mehr mit der Behauptung der vorgebrachten Beeinträchtigungen gehört werden können. Beide Kläger waren vor dem Verwaltungsgericht (VG) Minden ohne Erfolg gegen die Genehmigung der Windenergieanlagen vorgegangen. Das OLG sah sich aus Rechtsgründen an die rechtkräftigen Urteile des VG gebunden. Dieses hatte die Anfechtungsklagen jeweils mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine rechtlich relevante Beeinträchtigung der klägerischen Grundstücke nicht vorliege.

Sachverständigengutachten: keine wesentlichen Beeinträchtigungen

Zusätzlich, so das OLG in beiden Urteilen, spreche aufgrund der im Zivilverfahren eingeholten Sachverständigengutachten viel dafür, dass von den Windenergieanlagen der Beklagten keine wesentlichen Beeinträchtigungen auf die klägerischen Grundstücke einwirken. Der Sachverständige habe überzeugend dargelegt, dass die theoretisch bestimmbaren Schalldruckpegel des Infraschalls auf den klägerischen Grundstücken um mehrere Größenordnungen unterhalb der menschlichen Wahrnehmung lägen. Zudem sei der von den Windenergieanlagen ausgehende Infraschall auf den klägerischen Grundstücken praktisch nicht mehr messbar, da die von den Anlagen ausgehende Schallwelle in einer Entfernung von rund zwei Kilometern in dem vom Wind verursachten Schall untergehe.

Das OLG ist zu dem Ergebnis gekommen, schon aus Gründen der Rechtskraft an die Feststellungen des VG, dass eine wesentliche Beeinträchtigung nicht besteht, gebunden zu sein. Letztlich blieb offen, ob andernfalls noch ein medizinisch-biologisches Sachverständigengutachten zur Klärung einzuholen gewesen wäre. Es ging um die Frage, ob Infraschall, wie er hier von den über 200 Meter hohen Anlagen ausgeht, wegen einer von den Klägern behaupteten spezifischen Ausprägung als Teil des allgemeinen Infrarauschens auch noch unterhalb der Wahrnehmungsschwelle geeignet ist, die Gesundheit durch Einwirkungen auf körperliche Rezeptoren oder Systeme trotz einer Entfernung von etwa zwei Kilometern zu beeinträchtigen.

Keine Revision zugelassen

Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) nicht zugelassen. Die Kläger können daher nur noch Nichtzulassungsbeschwerde erheben.

Quelle | OLG Hamm, Urteile vom 5.5.2022, I-24 U 199/19 und I-24 U 1/20, PM vom 6.5.2022


Maskenstreit:

Unterlassungsansprüche einer Lehrerin gegen ihre Schülerin wegen eines Zeitungsartikels

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat eine Schülerin verpflichtet, bestimmte Äußerungen zu unterlassen, die die Schülerin in einem Zeitungsinterview sowie einem Videobeitrag getätigt hatte. |

Das war geschehen

Die beklagte Schülerin und sog. Influencerin hatte sich im Unterrichtsraum entgegen der damaligen pandemiebedingten Maskenpflicht ohne Maske aufgehalten. Nach einem kurzen Gespräch mit der klagenden Lehrerin nahm die Beklagte am weiteren praktischen Kunstunterricht an einem Tisch in einem Nebenraum bei geöffneter Tür teil. In der Folge erschienen über diese Begebenheit im Oktober 2020 ein Zeitungsartikel sowie ein Videobeitrag dieser Zeitung, in dem die Schülerin zitiert wurde.

Die Lehrerin sah sich durch die darin verbreiteten ihrer Meinung nach falschen Tatsachenbehauptungen in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt und beantragte in einem einstweiligen Verfügungsverfahren beim Landgericht (LG) Stuttgart deren Unterlassung. Das LG ist diesem Antrag teilweise gefolgt. In dem Berufungsverfahren vor dem OLG beansprucht die Lehrerin die Unterlassung weiterer Behauptungen der Beklagten, diese wiederum beantragt die Aufhebung der einstweiligen Verfügung des LG.

So entschieden die Instanzen

Der Berufungssenat änderte die erstinstanzliche Entscheidung und verpflichtete die Schülerin unter Androhung eines Ordnungsgeldes zur Unterlassung und Verbreitung ihrer folgenden falschen Tatsachenbehauptungen: „Sie [gemeint: die Lehrerin] hat mich aus dem Unterricht entfernt und in eine Abstellkammer gesetzt…. Hämisch sagte sie dann vor allen anderen: Jetzt hat Madame sogar ihren eigenen Raum“ sowie „Andere Lehrkräfte akzeptieren dies [gemeint: das Nichttragen der Alltagsmaske] auch. Außer meine Kunstlehrerin, die mich letzten Mittwoch darauf angesprochen hat und mich diskriminiert hat, aus dem Unterricht gebannt hat.“

Lehrerin herabgewürdigt: Berechtigte Interessen haben Grenzen

Die Äußerungen seien nach Auffassung des OLG geeignet, die betroffene Lehrerin in ihrem persönlichen und sozialen Geltungsbereich herabzuwürdigen. Dagegen könne sich die beklagte Schülerin bei dieser innerschulischen Angelegenheit nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen. Demgegenüber hatte die Berufung der Schülerin Erfolg, soweit sie vom LG bereits zu der Unterlassung von anderen als den oben genannten Äußerungen verpflichtet worden war, denn die einstweilige Verfügung wurde vom OLG aus formalen Gründen aufgehoben. Diese Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren ist rechtskräftig.

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 18.5.2022, 4 U 42/21, PM vom 18.5.2022


Corona-Pandemie:

Keine Entschädigung für Reiseveranstalter im März 2020

| Ein Reiseveranstalter kann im Fall der Reisestornierung keine Entschädigung verlangen, wenn unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände die Reisedurchführung erheblich beeinträchtigen. Ob eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist, ist prognostisch zu beurteilen. Ausreichend ist eine erhebliche Eintrittswahrscheinlichkeit (20 bis 25 Prozent). Das im März 2020 unbekannte und unberechenbare Pandemiegeschehen ermöglichte keine belastbaren Prognosen, so dass eine Wahrscheinlichkeit von 50 zu 50 Prozent bestand. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat mit seiner Entscheidung deshalb den Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters nach Stornierung abgelehnt. |

Das war geschehen

Der Kläger buchte für sich und seine Frau im August 2018 bei der Beklagten eine mehrtägige Flugreise nach Kanada, die nach Umbuchung im Juli/August 2020 stattfinden sollte. Er zahlte den Preis von gut 6.000 Euro an die Beklagte. Nach den Reisebedingungen entfällt im Fall des Rücktritts der Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann dann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen, die bis zum 31. Tag vor Reisebeginn 25 Prozent des Reisepreises beträgt. Keine Entschädigung kann verlangt werden, „wenn am Bestimmungsort oder in unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise … erheblich beeinträchtigen“.

Mitte März 2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er unter Symptomen des Corona-Virus leide und die Reise im Hinblick auf die Umstände u.a. in Kanada storniere. Eine angebotene Verschiebung der Reise auf das Folgejahr lehnte er ab und begehrte vor dem Landgericht (LG) Rückzahlung des vollen Reisepreises. Die Beklagte zahlte nach Klageerhebung 90 Prozent zurück. Das LG verurteilte die Beklagte, auch die zwischen den Parteien streitigen restlichen 10 Prozent zu zahlen.

Voller Reisepreis war zu erstatten

Die Berufung hiergegen hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger könne Rückerstattung auch des restlichen Reisepreises verlangen. Die Beklagte habe durch das eindeutig als Rücktritt auszulegende Schreiben des Klägers vom März 2020 ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren und habe keinen Anspruch auf Entschädigung für die Stornierung in Höhe von den hier geltend gemachten 10 Prozent des Reisepreises. Der Entschädigungsanspruch sei vielmehr gemäß den Reisebedingungen im Hinblick auf vorliegende unvermeidbare außergewöhnliche Umstände, die die Reisedurchführung beeinträchtigten, ausgeschlossen. Ob eine derartige Beeinträchtigung vorliege, sei prognostisch zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu beurteilen. Auf spätere zwischen Rücktrittserklärung und ursprünglich geplantem Reisebeginn eintretende geänderte Umstände zugunsten oder zulasten einer Partei komme es nicht mehr an.

Erhebliche vs. überwiegende Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses

Dabei bestehe ein Rücktrittsrecht wegen nicht voraussehbarer höherer Umstände schon dann, „wenn mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses mit erheblicher, und nicht erst dann, wenn mit ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist“. Eine Eintrittswahrscheinlichkeit ab einer Größenordnung von 20 bis 25 % genüge in der Regel. Dies markiere zugleich „die Grenze zwischen lediglich subjektiv empfundenen Gefahren und einer sachlich begründeten Befürchtung für erhebliche Beeinträchtigungen“. Diese erhebliche Wahrscheinlichkeit habe hier bestanden. Die Parteien seien sich einig, dass bei Kündigung bereits Reisebeschränkungen bestanden und es sich bei dem bis dahin völlig unbekannten SARS-Cov-2-Virus und der möglichen Pandemie um ein unberechenbares Geschehen handele, für dessen weitere Entwicklung im März 2020 keine sicheren oder auch nur belastbaren Prognosen aufgestellt werden konnten. Könne bei zwei Alternativen keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der einen oder anderen gemacht werden, bestehe eine Wahrscheinlichkeit von jeweils 50 zu 50 Prozent.

Soweit zwischen Rücktritt und Reisebeginn ein Zeitraum von vier Monaten gelegen habe, habe der Kläger auch nicht noch abwarten müssen, wie sich die Verbreitung und die Gefahren der Pandemie weiterentwickelten. Eine derartige Wartefrist sei gesetzlich nicht vorgesehen. Ein Zuwarten sei dem Reisenden auch nicht zumutbar.

Gegen das Urteil ist die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen worden.

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 30.6.2022, 16 U 132/21, PM 55/22


Schufa-Datenhaltung:

Sechs Monate nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ist Schluss mit der Schufa-Datenverarbeitung

| Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hält daran fest, dass dem Insolvenzschuldner regelmäßig ein Löschungsanspruch gegen die Schufa Holding AG zusteht, wenn diese Daten aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal ohne gesetzliche Grundlage länger speichert und verarbeitet, als dies in der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsoBekVO) vorgesehen ist. Auch bei der Berechnung eines Score-Wertes darf die Schufa die Daten zum Insolvenzverfahren danach nicht mehr berücksichtigen. |

Das war geschehen

Über das Vermögen des Klägers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 25.3.2020 hat das Amtsgericht (AG) das Verfahren aufgehoben. Die Information wurde im amtlichen Internetportal veröffentlicht. Die Schufa pflegte diese Daten von dort in ihren Datenbestand ein, um diese ihren Vertragspartnern bei laufenden Vertragsbeziehungen und Auskunftsanfragen zum Kläger mitzuteilen. Der Kläger begehrte Ende 2020 von der Schufa, die Daten zu löschen, da die Verarbeitung zu erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen bei ihm führe. Eine uneingeschränkte Teilhabe am Wirtschaftsleben sei ihm nicht möglich. Er könne u.a. nur noch gegen Vorkasse bestellen und keine neue Wohnung mieten.

Die Schufa wies die Ansprüche des Klägers zurück und verwies darauf, dass sie die Daten entsprechend den Verhaltensregeln des Verbandes „Die Wirtschaftsauskunfteien e.V.“ erst drei Jahre nach Speicherung lösche. Die Daten seien bonitätsrelevante Informationen und daher für die Schufa und ihre Vertragspartner von berechtigtem Interesse. Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem OLG hatte Erfolg.

Nach sechs Monaten muss Datenverarbeitung aufhören

Der Kläger kann von der Schufa verlangen, die Verarbeitung der Informationen zu seinem Insolvenzverfahren sechs Monate nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu unterlassen. Nach Ablauf dieser Frist überwiegen die Interessen und Grundrechte des Klägers gegenüber den berechtigten Interessen der Schufa und ihrer Vertragspartner, sodass sich die Verarbeitung nicht mehr als rechtmäßig im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) darstellt.

Abwägung: Schufa-Interessen vs. Grundrechte der Person

Es ist eine konkrete Abwägung zwischen den Interessen der Schufa und ihrer Vertragspartner an der Verarbeitung der Daten und den durch die Verarbeitung berührten Grundrechten und Interessen des Klägers anzustellen. Der Kläger hat ein Interesse daran, möglichst ungehindert am wirtschaftlichen Leben teilnehmen zu können, nachdem die Informationen über sein Insolvenzverfahren aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal gelöscht worden sind. Dieses Interesse geht dem eigenen wirtschaftlichen Interesse der Schufa als Anbieterin von bonitätsrelevanten Informationen vor. Auch gegenüber typisierend zu betrachtenden Interessen der Vertragspartner sind die Interessen des Klägers vorrangig, da keine besonderen Umstände in der Person des Klägers oder seines Insolvenzverfahrens erkennbar sind, die eine Vorratsdatenspeicherung bei der Schufa über den Zeitraum der Veröffentlichung im Insolvenzbekanntmachungsportal hinaus rechtfertigen könnten. Die Schufa kann sich nicht auf die in den Verhaltensregeln des Verbandes der Wirtschaftsauskunfteien genannte Speicherfrist von drei Jahren berufen. Diese Verhaltensregeln entfalten keine Rechtswirkung zulasten des Klägers. Sie vermögen auch keine Abwägung der Interessen vorzuzeichnen oder zu ersetzen.

Das OLG hat die Revision zugelassen.

Quelle | Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 3.3.2022, 17 U 5/22, PM 2/22

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