Verkehrsrecht Info - 05.2022

1.05.2022
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Verkehrsunfall:

Keine taggenaue Berechnung von Schmerzensgeld

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt klargestellt: Maßgebend für die Höhe von Schmerzensgeld sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden und dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falls, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. In erster Linie sind Höhe und Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt. |

Das war geschehen

Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt. Über zwei Jahre verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten insgesamt 500 Tage im Krankenhaus; u.a. musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Der Kläger ist seither zu mindestens 60 Prozent in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Die Einstandspflicht der Beklagten (Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Pkw) stand außer Streit.

Das Landgericht (LG) hat dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro zugesprochen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht (OLG) die Beklagten zu einem Schmerzensgeld von 200.000 Euro verurteilt.

Keine rechnerische Lösung

Das OLG hatte das Schmerzensgeld nach der Methode der sog. „taggenauen Berechnung“ ermittelt. Der BGH hat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Nach der Entscheidung des BGH gilt: Die „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgelds ist abzulehnen. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lässt wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibt unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trägt der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung. Das OLG muss daher erneut über die Höhe des Schmerzensgelds befinden.

Quelle | BGH, Urteil vom 15.2.2022, VI ZR 937/20, PM 20/22

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Altfahrzeug-Umweltprämie:

„Ein Fahrzeug muss ein Fahrzeug sein“

| Ein Fahrzeughersteller lobte eine „Umweltprämie“ aus, die er selbst gewährte und die nichts mit staatlichen Umweltprämien zu tun hatte. Voraussetzung: Im Gegenzug zum Kauf eines Neufahrzeugs musste ein Käufer sein ihm gehörendes Altfahrzeug zur Entsorgung abliefern. Weitere Voraussetzung: Es musste sich bei dem Altfahrzeug um ein „noch rollfähiges Kraftfahrzeug“ handeln. Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg musste sich mit einem vermeintlich besonders „cleveren“ Käufer beschäftigen. |

Dieser Käufer des Neufahrzeugs brachte nämlich eine weitestgehend ausgeschlachtete Karosserie mit Türen zum Hersteller. An diesem Torso waren Schwerlastrollen montiert. Das entspreche nicht den Voraussetzungen, die der Hersteller definiert hatte, so das OLG. Ein Motorschaden sei danach kein Hindernis für die Prämie, ein Fahrzeugtorso aber schon. Denn das vom Käufer angebotene Altfahrzeug genügte bereits auf den ersten Blick nicht einmal ansatzweise den Anforderungen an ein Fahrzeug. Dessen Motivation bestand überdies darin, möglichst viele Fahrzeugbestandteile als Ersatzteile für andere Fahrzeuge zu verwerten, insbesondere auch den Motor, was dem Sinn und Zweck einer Umweltprämie zuwiderlaufe.

Quelle | OLG Nürnberg, Urteil vom 29.7.2021, 13 U 236/21, Abruf-Nr. 226081 unter www.iww.de


Kennzeichenmissbrauch:

Abstellen eines Kfz am Straßenrand ist „Gebrauchmachen“

| Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat jetzt zum Kennzeichenmissbrauch in der Form des „Gebrauchmachens“ Stellung genommen. Der Angeklagte hatte einen Kraftfahrzeuganhänger, an dessen Heckseite ein nicht für dieses Fahrzeug zugeteiltes Kennzeichen angebracht war, im öffentlichen Verkehrsraum am Straßenrand abgestellt. Das BayObLG hat für diesen Fall den Kennzeichenmissbrauch bejaht. |

Der Zweck der Vorschrift erfordert eine weite Auslegung des Begriffs des Gebrauchmachens. Dieses geht über das bloße Führen oder Schieben des Kraftfahrzeugs oder des Kraftfahrzeuganhängers hinaus. Es erfasst auch das Abstellen des Kraftfahrzeugs oder des Kraftfahrzeuganhängers am Straßenrand. Auch von einem in dieser Weise abgestellten Kraftfahrzeug oder Kraftfahrzeuganhänger kann eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen. Zudem kann das Abstellen den Tatbestand einer Verkehrsordnungswidrigkeit begründen.

Quelle | BayObLG, Urteil vom 3.11.2021, 203 StRR 504/21, Abruf-Nr. 226377 unter www.iww.de


Verkehrsverstoß:

Fahrtenbuchauflage gegen Unternehmen – geht das?

| Das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße hat entschieden, dass die Fahrtenbuchauflage gegen ein Unternehmen rechtmäßig war, das u. a. Dienstleistungen im Bereich des Recycling- und Containerdienstes anbietet. |

Was war geschehen?

Im Juni 2020 wurde mit einem Fahrzeug des o. g., klagenden Unternehmens ein bußgeld- und punktebewehrter Verkehrsverstoß begangen. Nachdem der Geschäftsführer auf wiederholte Anfrage der Zentralen Bußgeldstelle mitgeteilt hatte, dass das Fahrzeug von mehreren Personen genutzt werde und aufgrund Zeitablaufs nicht mehr festgestellt werden könne, wer gefahren sei, fuhren Polizeibeamte zwecks Identifizierung zum Firmensitz. Der dort angetroffene Mitarbeiter gab gleichfalls an, dass das Fahrzeug sowohl beruflich als auch privat von mehreren Personen, unter anderem von ihm selbst, genutzt werde. Die auf dem „Blitzerfoto“ abgebildete Person sei ihm jedoch nicht bekannt. Weitere polizeiliche Ermittlungen blieben erfolglos. Interne Ermittlungen im Betrieb der Klägerin fanden nicht statt.

So sahen es die Ordnungsbehörde und der Kläger

Die beklagte Ordnungsbehörde ordnete eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von sechs Monaten nebst einer Pflicht zur Vorlage und Aufbewahrung an. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren klagte das Unternehmen und machte u. a. geltend, dass das Fahrzeug weit überwiegend durch den Geschäftsführer und nur mit dessen ausdrücklicher Erlaubnis auch von anderen Mitarbeitern genutzt werde. Da sich der Geschäftsführer sicher sei, das Fahrzeug am Tattag nicht verliehen zu haben, müsse dieses widerrechtlich entweder von einem Mitarbeiter oder einem sonstigen Dritten genutzt worden sein. Ein solcher Vorfall lasse sich nicht durch eine Fahrtenbuchauflage verhindern, weshalb diese ungeeignet sei.

So sah es das Gericht

Das VG wies die Klage ab. Sie sei im Hinblick auf die Fahrtenbuchauflage unzulässig, da sich diese auf einen Zeitraum von sechs Monaten beziehe, der bereits abgelaufen sei. Ein besonderes Interesse an der Fortführung des Verfahrens in Form der sogenannten „Fortsetzungsfeststellungsklage“ sei nicht anzuerkennen. Insbesondere hätte der Kläger um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen können, was nicht geschehen sei. Eine Wiederholungsgefahr sei ebenso wenig anzunehmen wie ein Rehabilitationsinteresse, da eine Fahrtenbuchauflage per se keinen diskriminierenden Charakter aufweise und insbesondere nicht mit einem Unrechts- und Schuldvorwurf verbunden sei.

Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet, da die Fahrtenbuchauflage und die sonstigen Bestimmungen des angegriffenen Bescheids rechtmäßig seien. Bei der Behauptung, wonach das Fahrzeug widerrechtlich in Gebrauch genommen worden sei, handele es sich um prozesstaktisches Vorbringen, das in Widerspruch zur ersten Einlassung des Geschäftsführers und auch zur Aussage des von der Polizei vernommenen Mitarbeiters der Klägerin stehe.

Widersprüchlicher Vortrag des Unternehmens

Die Behauptung selbst erscheine bei lebensnaher Betrachtung unglaubhaft. Zum einen sei der diesbezügliche Vortrag widersprüchlich, da die Klägerin mit wechselnden Argumenten zunächst die „Täterschaft“ eines Dritten nicht habe ausschließen wollen, um diese Aussage zuletzt in der mündlichen Verhandlung auf einen nicht näher bezeichneten Täterkreis von mehr oder weniger engen Mitarbeitern des Geschäftsführers zu begrenzen. Weshalb es dann nicht möglich gewesen sein solle, den Täter oder die Täterin im Zuge einer internen Aufarbeitung zu bestimmen, erschließe sich nicht. Zum anderen erscheine auch die Behauptung als lebensfremd, wonach sowohl Mitarbeiter als auch Dritte und damit betriebsfremde Personen vor und nach der Tat ohne Weiteres unbemerkt Zugang zum Büro des Geschäftsführers und dessen Schreibtisch hätten nehmen können, in dem die Schlüssel des nach Angabe der Klägerin „hochwertigen Premiumfahrzeugs“ aufbewahrt worden seien. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb dann keine Anzeige erstattet worden sei, was nicht zuletzt unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten im kaufmännischen Eigeninteresse zwingend erforderlich erscheine oder der Vorfall nicht wenigstens arbeitsrechtlich aufgearbeitet worden sei.

Fahrtenbuchauflage angemessen

Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang darauf berufen habe, dass der Geschäftsführer „Besseres zu tun gehabt habe“ und von etwaigen polizeilichen Ermittlungen ohnehin kein erfolgreicher Ausgang zu erwarten sei, überzeuge dies nicht. Unabhängig von der Obliegenheit, ein Fahrtenbuch oder entsprechende innerbetriebliche Aufzeichnungen über die Nutzung eines betriebseigenen Fahrzeuges zu führen, sei der Kläger selbstverständlich verpflichtet, die Fahrzeugschlüssel zur Verhinderung einer unbefugten Ingebrauchnahme durch Betriebsangehörige und insbesondere betriebsfremde Dritte sicher zu verwahren. Folge: Die Fahrtenbuchauflage sei geeignet und damit verhältnismäßig gewesen.

Quelle | VG Neustadt, Urteil vom 12.1.2022, 3 K 588/21.NW, PM 6/22

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