Verkehrsrecht Info - 07.2021

5.07.2021
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Schadenersatz:

So können sich Reparaturverzögerungen auf den Nutzungsausfallschaden auswirken

| Zu Störungen im Reparaturablauf nach einem Unfall kann es aus verschiedenen Gründen kommen. Unter dem Blickwinkel des Nutzungsausfallschadens können sie zulasten des Schädigers gehen, andererseits aber auch vom Geschädigten zu verantworten sein. Worauf es ankommt und welche Seite wofür darlegungs- und beweispflichtig ist, hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf geklärt. |

Zwischen dem Unfalltag und dem Tag der Fahrzeugrückgabe lagen 190 Tage. Die beklagte Versicherung sah sich nur für 31 Tage in der Ersatzpflicht. Die in diesem Zeitraum angefallenen Mietwagenkosten hat sie reguliert, jeden weiteren Ersatz aber abgelehnt. Das OLG Düsseldorf hat eine „abstrakte“ Nutzungsausfallentschädigung für weitere 104 Tage Zug um Zug gegen Abtretung eines (möglichen) Ersatzanspruchs gegen die Werkstatt zugesprochen. Den weitergehenden Anspruch hat es wegen Verstoß gegen die sog. Schadensminderungspflicht zurückgewiesen (hier: Verzögerungen bei der Erteilung des Gutachter- und des Werkstattauftrags).

Ohne Erfolg ist der Einwand der Beklagten geblieben, die Klägerin habe für den streitigen Ausfallzeitraum schon deshalb keinen Ersatzanspruch, weil sie auf einen „Zweitwagen“ habe zurückgreifen können. Nach dem unwiderlegten Vortrag der Klägerin handelte es sich um den Pkw ihres Sohnes und damit um eine den Schädiger nicht entlastende freiwillige Leistung eines Dritten. Damit stellte sich dem OLG die Frage, zu wessen Lasten die Verzögerung der Reparaturarbeiten geht. Die Werkstatt keine Markenwerkstatt begründet sie mit Lieferschwierigkeiten bei der Beschaffung eines Airbag-Moduls für die Beifahrerseite.

Was ein Geschädigter in dieser Situation nicht tun muss, also lassen darf, macht das OLG u. a. deutlich:

  • Den Geschädigten trifft kein Auswahlverschulden, wenn er eine freie Werkstatt beauftragt.
  • Er begeht keine sog. Obliegenheitsverletzung, wenn er die Reparatur nicht überwacht.
  • Er muss die Ausfallzeit nicht durch eine Teilreparatur verkürzen, also z. B. den Pkw vorübergehend ohne Beifahrerairbag weiternutzen.

Das OLG hält schließlich noch fest: Der Klägerin wird nur eine sog. sekundäre Darlegungslast auferlegt, der sie nicht zuletzt durch Vorlage des Reparaturablaufplans hier genügt hatte.

Beachten Sie | Den gegnerischen Versicherer bei längeren Verzögerungen zu informieren, ist ratsam, zumal bei Inanspruchnahme eines Mietwagens.

Quelle | OLG Düsseldorf, Urteil vom 9.3.2021, I-1 U 77/20, Abruf-Nr. 221698 unter www.iww.de


Unfallhaftung:

Wenn der Notfallbremsassistent ohne Not bremst

| Löst sich auf der Autobahn unverschuldet während freier Fahrt der Notfallbremsassistent eines vorausfahrenden Fahrzeugs und fährt der nachfolgende LKW ohne Einhalten des Sicherheitsabstands von mindestens 50 Metern auf das abrupt abgebremste Fahrzeug auf, überwiegt der Haftungsanteil des nachfolgenden LKW. |

Die unbegründete und erhebliche Unterschreitung des Sicherheitsabstands ist auf ein schuldhaftes Verhalten zurückzuführen, während das vorausfahrende Fahrzeug aufgrund eines technischen Versagens abgebremst wurde. Dies rechtfertige eine Haftungsverteilung von 2/3 zulasten des LKW-Fahrers, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main.

Die Klägerin nahm die Beklagten auf Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall auf der A5 Richtung Kassel/Hannover in Anspruch. Sie fuhr vor dem Beklagtenfahrzeug, einem Lkw mit einer zulässigen Gesamtmasse von über 3,5 Tonnen. Während ihrer Fahrt löste sich der Notfallbremsassistent. Der Beklagte konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und kollidierte mit dem klägerischen Fahrzeug.

Das Landgericht (LG) hatte der Klägerin 1/3 des geltend gemachten Schadens zugesprochen. Ihre hiergegen gerichtete Berufung hatte zum Teil Erfolg. Das OLG sprach der Klägerin nun 2/3 ihres Schadens zu.

Bei dem erforderlichen Haftungsausgleich zwischen den Beteiligten sei, so das OLG, zu berücksichtigen, dass der Unfall durch das Beklagtenfahrzeug mitverursacht worden sei. Dieses habe aufgrund des zu geringen Sicherheitsabstands zum vorausfahrenden klägerischen Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig abbremsen können. Angesichts der Größe des Lkw mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 Tonnen hätte auf Autobahnen zu vorausfahrenden Fahrzeugen ein Mindestabstand von 50 Metern eingehalten werden müssen, wenn die Geschwindigkeit mehr als 50 km/h betrage. Sachverständig geklärt war im vorliegenden Fall, dass dieser Sicherheitsabstand trotz der gefahrenen Geschwindigkeit nicht eingehalten worden war.

Die Klägerin müsse sich aber als Verursachungsbeitrag vorwerfen lassen, dass sie ihr Fahrzeug ohne ersichtlichen Grund auf freier Strecke abrupt abgebremst habe.

Die gebotene Abwägung dieser beiderseitigen Verursachungsbeiträge führe zu einer Haftungsverteilung von 2/3 zulasten der Beklagten und 1/3 zulasten der Klägerin. Hinsichtlich des LKW-Fahrers sei von einem Verschulden auszugehen, da der erforderliche Sicherheitsabstand ohne zwingende Gründe um etwa 30 Prozent unterschritten worden sei. Das abrupte Abbremsen der Klägerin sei dagegen unstreitig auf das Versagen der technischen Einrichtung ihres Kraftfahrzeugs zurückzuführen, sodass sie kein Verschulden treffe.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 9.3.2021, 23 U 120/20


Nutzungsausfall:

Trotz abgelaufener Hauptuntersuchung sind Mietwagenkosten zu erstatten

| Der Schädiger muss Mietwagenkosten erstatten, auch wenn das verunfallte Fahrzeug bereits vor dem Unfall einen Riss in der Frontscheibe aufwies und die HU-Plakette abgelaufen war. Das hat das Landgericht (LG) Stuttgart entschieden und damit ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Stuttgart korrigiert. |

Die Begründung des LG: Die Benutzung des verunfallten Fahrzeugs vor dem Unfall und die gedachte weitere Nutzung nach dem Unfall stelle zwar evtl. eine Ordnungswidrigkeit dar. Dennoch hatte der Geschädigte ein Fahrzeug, das er auch genutzt hat.

Wie lange der HU-Termin schon überzogen war, ist nicht bekannt. Ein solches Fahrzeug würde aber bei einer Kontrolle nicht sofort festgesetzt, wenn die HU nicht bereits jahrelang überfällig gewesen ist. So war für das LG entscheidend, dass der Geschädigte sowohl die Nutzungsmöglichkeit und auch den Nutzungswillen hatte.

Quelle | LG Stuttgart, Urteil vom 4.3.2021, 5 S 195/20, Abruf-Nr. 221584 unter www.iww.de


Frontalaufprall:

Wann ist ein Unfall ein Unfall?

| Ein Unfall im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kraftfahrtversicherung liegt auch vor, wenn der Schaden durch den Versicherungsnehmer freiwillig herbeigeführt wurde. Ob dies vorsätzlich in Suizidabsicht geschah, was dazu führen würde, dass der Versicherer von seiner Leistung frei würde, kann nur aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Indizien festgestellt werden. Die Beweislast hierfür trägt der Versicherer. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Dresden klargestellt. |

Was war geschehen?

Der Versicherungsnehmer prallte mit seinem Kfz frontal gegen einen Straßenbaum, nachdem er beim Anfahren das Fahrzeug stark beschleunigt hatte. Das Fahrzeug erlitt hierbei einen Totalschaden. Der Versicherer hat eine Regulierung des Schadens abgelehnt, weil der Versicherungsnehmer den Unfall vorsätzlich in Suizidabsicht herbeigeführt habe. Damit greife die vereinbarte Ausschlussklausel.

Das Landgericht (LG) hat ein unfallanalytisches Gutachten eingeholt. Danach lasse sich keine Suizidabsicht beweisen. Gleichwohl hat es die Klage abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob der Kläger den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe. Sein Verhalten stelle sich jedenfalls deswegen als grob fahrlässig dar, weil er es versäumt habe, den durch die Beschleunigung ausgelösten Driftvorgang dadurch abzuwenden, dass er den Fuß vom Gaspedal genommen hätte. Dies stelle sich als so schwerwiegendes Versäumnis dar, dass hier ausnahmsweise eine Leistungskürzung auf Null gerechtfertigt sei.

So sieht es das OLG

Das OLG Dresden hat auf die Berufung des Versicherungsnehmers das Urteil geändert und den Versicherer antragsgemäß verurteilt. Es stellt klar: Es handelt sich bei dem o. g. Ereignis um einen „Unfall“ im Sinne des Versicherungsrechts. Ein solcher liege auch vor, wenn der Schadensfall vorsätzlich herbeigeführt worden sei. Für das Vorliegen eines Unfalls komme es allein darauf an, dass der Schaden durch eine von außen plötzlich einwirkende mechanische Kraft herbeigeführt werde. Dies sei hier durch den Zusammenprall mit dem Straßenbaum der Fall.

Ein Haftungsausschluss wegen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Unfalls kommt nach den eindeutigen Versicherungsvereinbarungen nicht in Betracht. Dort heißt es nämlich ausdrücklich: „Wir verzichten in der Fahrzeugversicherung auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Schadens.“ Gegen die Wirksamkeit dieser Verzichtsklausel hatte das OLG keine Bedenken.

Quelle | OLG Dresden, Urteil vom 10.11.2020, 4 U 1106/20, Abruf-Nr. 221286 unter www.iww.de

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